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06. Oktober 2023 Ralph Barnstein Mecklenburg-Vorpommern
Grüner wird’s nicht!
Diese bekannte Aufforderung eines Fahrzeugführers an seinen Vordermann ist trotz der Ampel – Situation nicht politisch konnotiert. Das würde den Rahmen unseres Mitteilungsblattes sprengen. Für die Beurteilung von aktuellen Sachlagen sind die Farbenlehre der Parteien und ideologische Richtungsverortungen ohnehin entbehrlich. Eine Einteilung in die Kategorien Vernunft, Naivität oder Irrsinn ist dafür ausreichend.
Unser grünes Ziel der diesjährigen Studienreise ist das Vogtland. Das Vierländereck Sachsen - Thüringen – Bayern – Böhmen ist nicht nur das Epizentrum des weltweiten Bier–Prokopf-Konsums. Seine vogtländische Grenzregion beheimatet zudem auch zahlreiche Gemeinden, deren Ortsnamen die Endung „-grün" als Zeichen einer ursprünglichen Waldrodung beinhalten. So begegnet dem leicht ungläubigen Reisenden in Oberfranken die friedliche Nachbarschaft von Marxgrün und Christusgrün. Beide Namenspatrone scheinen sich in dieser Konstellation dann wohl doch grün zu sein.
Unsere heutige Destination liegt weiter östlich im Sächsischen nahe Böhmen. Diese Nähe ist auch der Grund für die Namensgebung „Grenzquell", welche uns noch als Schriftband um das Weltkugelsignet am alten Sudhaus der vormaligen Berg-Brauerei entgegenprangt. Spätestens jetzt ist klar, dass wir am letzten kalendarischen Sommertag mit vierundzwanzig Neugierigen bei unseren Berufskollegen in Wernesgrün zu Gast sein dürfen. Der zünftige Willkommenstrunk in Form eines Seidels voller Pils - Legende ist ein angenehmer Übergang zur Begrüßung durch Brauereidirektor Dr. Marc Kusche, welcher seit dem letztjährigen Dortmunder Braumeistertag auch das Amt des DBMB - Präsidenten bekleidet. Eine ausschließlich sachbezogene Präsidentschaft ohne politische Farbenspiele. Wie angenehm! Ebenso angenehm ist der anschließende Rundgang durch die Brauerei unter fachkundiger Führung von Herstellungsleiter Matthias Becker, Excellence Manager Konstantin Kramer und Ronny Opel als verantwortlichem Leiter aus der Abfüllung. Wir tauchen ein in die seit 1436 belegbare Wernesgrüner Brauhistorie. Bei ursprünglich fünf Braustätten Ende des 19. Jahrhunderts haben sich in Wernesgrün die Konzepte der Familien Günnel (Grenzquell) und Männel (Aktienbrauerei) als markt- und überlebensfähig erwiesen. Eine jahrzehntelang kultivierte Hassliebe beider Brauereien überstand sogar Enteignung, Verstaatlichung und Planwirtschaft. Konkurrenz belebt das Geschäft und so scheint diese Wettbewerbssituation als Triebfeder für die Optimierung der Produktqualität verantwortlich gewesen zu sein. Nicht grundlos wurde die Namensgebung 1974 in „VEB Exportbierbrauerei Wernesgrün“ geändert. Exportbier! Welch edler Klang! In der DDR war damit nicht der Bierstil nach Dortmunder Brauart gemeint, sondern ein begehrenswertes Brauerzeugnis, welches ob der Qualität überwiegend gegen harte Währung außer Landes verbracht wurde. Nicht nur aus Wernesgrüner Provenienz, sondern zum Beispiel auch aus Radeberg, Lützschena, Lübz oder Friedrichshagen. Diese Biere waren zwar in aller Munde aber in fast keiner Kehle. Dadurch avancierten sie zu den ersten Kryptowährungen, lange vor dem Bitcoin. Sogar goldgedeckt - mit der Metallfolie über dem Flaschenhals.
Auf dem Getränkekombinats - Papier gehörten die Wernesgrüner Brauereien seitdem zwar zusammen. Erstaunlicherweise überdauerte die Eigenständigkeit der beiden Braustätten aber auch die DDR-Zeit und wurde erst mit der kompletten Modernisierung Anfang der 90er Jahre beendet. Verzwickte Eigentumsverhältnisse zogen die Privatisierung in die Länge und die Brauerei firmierte zunächst als AG. Jahrelang war die Treuhand federführend. In Wernesgrün erinnert man sich ohne Groll an diesen Umbruch, da im Grunde eine komplette neue Brauerei mit dem technischen Niveau auf Höhe der Zeit entstanden ist. Von der Malzannahme bis zum Lagerkeller befinden sich die Anlagen hinter der vorbildlich restaurierten und denkmalgeschützten Fassade der Männel´schen Aktienbrauerei. Durch eine Pipeline, wie man sie auch aus Oettingen oder Brügge kennt, wird das Bier den Berg hinauf zum ehemaligen Grenzquell-Gelände gepumpt. Vom Filterkeller bis zur Abfüllung erfolgt hier die Weiterverarbeitung des voll ausgereiften Unfiltrats.
Von 2002 bis 2020 waren die Wernesgrüner Teil der Bitburger Braugruppe. Seit 2021 gehört man zu Carlsberg Deutschland und schaut optimistisch in die Zukunft. Gruppeninterne Synergiemaßnahmen sorgen für Auslastung und Planbarkeit. Wichtig für die Rolle als Arbeitgeber in der Region und der Identifikation der Mitarbeiter mit dem Traditionsunternehmen und seinen Bieren. Das Herzblut, welches die Kollegen mit ins Produkt geben, ist für uns während der Erkundungstour und anschließender ausgiebiger Verkostung spür- und schmeckbar. Mit großem Dank an das fürsorgliche Team aus der sächsischen Landesgruppe für den gelungenen Tag und den besten Wünschen für den Verbleib auf dem grünen Zweig verabschieden wir uns in die Dunkelheit Richtung Hotel.
Ausgeruht und gestärkt führt uns unsere Tour weiter durch frische erzgebirgische Morgenluft und immer noch sattes Grün der Wälder. Eine bekannte sächsische Redewendung besagt hintergründig: „In Dresden wird regiert, in Leipzig wird gehandelt, in Chemnitz wird gearbeitet.“ Das mit der Arbeit schauen wir uns näher an und betreten eine fachgerecht sanierte Gießereihalle, deren aktiver Betrieb eingestellt wurde, als die Stadt noch den Namen von Karl Marx trug. Das „Industriemuseum“ fokussiert sich auf die regionale Entwicklung und hat damit mehr als ausreichend Stoff, Industriegeschichte und -kultur anschaulich darzustellen. Bergbau, Energieerzeugung, Gießereien und Schmieden, Textilindustrie, Maschinenbau, Automobile und Nutzfahrzeuge, Werkzeugmaschinen, Glashütten, Spielzeug. Die Aufzählung bleibt unvollständig, denn Sachsen war im 19. Jahrhundert eine Pionierregion der Industrialisierung Europas und Chemnitz erhielt den Beinamen „sächsisches Manchester“. Heute noch geläufige Marken haben ihren Ursprung in Sachsen. Bespielhaft seien hier Brockhaus, Melitta oder Audi genannt. Letzteres ist die lateinische Form des Imperativs von „hören“ und Automobilingenieur August Horch ist der Namensgeber. Wir nehmen uns diese Aufforderung zu Herzen und hören gut zu. Bei der Vorführung und Inbetriebnahme von historischen Maschinen in der Textilstraße ist dazu reichlich Gelegenheit.
Zwei Stunden sind bei der Fülle von Exponaten schnell vorüber. Wir müssen uns wieder auf den Heimweg begeben, haben aber während der siebenstündigen Fahrt ausreichend Gelegenheit, alle Eindrücke der Studienreise bei einem Abschiedsbier nochmals Revue passieren zu lassen.
Unser Fazit: Alles im grünen Bereich.
Frank Lucas
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