Foto: vlnr.: Walter König, Tobias Zollo, Martin Neubert,…
26. November 2021 Gregor Schneider Mecklenburg-Vorpommern
Sechzehn Monate sind vergangen, sechzehn Monate nach Einführung der grundlegendsten Einschränkungen seit Bestehen der Bundesrepublik, welche mal mehr und mal weniger intensiv nach wie vor andauern. Wir alle haben uns trotz dieser Grenzerfahrungen mit der Situation arrangiert und nutzen jetzt den alljährlichen Rückgang von Atemwegsviren während der warmen Jahreszeit für ein Vereinstreffen von Angesicht zu Angesicht, mit echten Menschen und Emotionen, in der analogen Welt und fernab von Bildschirmen.
Sonnabend, der 24. Juli, hebt mit seinen meteorologischen Voraussetzungen die Vorfreude der 47 Teilnehmer auf unseren Familientag nochmals zusätzlich. Wir nehmen den Faden aus der Vor-Lockdown-Zeit wieder auf und holen unsere abgesagte Veranstaltung vom Mai 2020 nach. Treffpunkt ist für uns der Bahnhof in Bad Doberan. Hier beginnt das Schmalspurgleis der Bäderbahn „Molli“, welches uns bis zu unserem heutigen Tagesziel ins Ostseebad Kühlungsborn führen wird. Teilnehmer des Braumeistertages 2011 in Rostock, welche sich im Rahmenprogramm für eine Molli-Fahrt entschieden hatten, werden mit Sicherheit eine angenehme Erinnerung daran haben. Damals wie heute ist der Aufenthalt im Freien auf dem Perron zwischen den einzelnen Wagen auch während der Fahrt gestattet, jetzt allerdings nur mit Gesichtsschutz. Wir als Brauer kennen die FFP-2-Masken schon lange aus dem Malzlager bzw. aus der Kieselgur-Filtration. Diese Schutzmittel erfüllen genau den Zweck, für den sie vorgesehen sind: Sie schützen uns vor Feinstaub. Den praktischen Beweis erleben wir während der Fahrt, da sich allmählich Rußpartikel der kohlebefeuerten Dampflokomotive auf der Außenseite der Maske absetzen. (Vielleicht besteht ja deshalb hier die Maskenpflicht im Freien?) Gerüche durchdringen dagegen das Material und so könnte man auch mit geschlossenen Augen die wunderschöne Landschaft beidseitig der 135-jährigen schnaufenden und bimmelnden Traditionsbahn wahrnehmen: Die kühle Harzigkeit aus dem Küstenwald, der frische Strohgeruch erntereifer Getreidefelder oder die mineralische Meeresbrise direkt von der Ostsee.
Nach der 35-minütigen Fahrt legen wir in Kühlungsborn den letzten Kilometer zu Fuß zurück – direkt bis zum Strand. Hier befindet sich seit 8 Jahren das Grenzturm-Museum mit seiner Dauerausstellung. Herzstück ist der namensgebende 15 Meter hohe Beobachtungsturm aus Beton. Neben den noch höheren Metallgitter-Beobachtungstürmen der an der gesamten DDR-Küste errichteten Technischen Beobachtungskompanien gab es 27 dieser Betontürme am Strand. Davon sind zwei Exemplare noch erhalten, wobei nur der Kühlungsborner Turm öffentlich zugänglich ist. Die geführte Tour über das Museumsgelände vermittelt uns sehr umfassende und detailreiche Fakten über die Historie der DDR-Grenzsicherung an der Küste – der „blauen Grenze“. Eine Grenze, welche vorrangig die Abschottung der eigenen Bevölkerung in Richtung Westen sicherstellte. Von den dokumentierten 5609 Fluchtversuchen waren 913 erfolgreich. Fast alle anderen endeten mit einer Verhaftung oder tödlich. Die wenigsten blieben unbemerkt.
Die anschließende Turmbesteigung lässt bei den Mitgliedern unserer Landesgruppe, die ihren Wehrdienst in der DDR geleistet und Grenzerfahrungen gesammelt hatten, einige Erinnerungen hervorkommen. Der Autor dieser Zeilen hatte beispielsweise in Kühlungsborn seine 3-monatige militärische Grundausbildung absolviert und auf Hiddensee den Grundwehrdienst bei der „Grenzbrigade Küste“ abgeleistet. Die Konfrontation mit Ausstellungsstücken wie Kalaschnikow, Hochleistungsfernglas oder Suchscheinwerfer haben eher beklemmende Gefühle ausgelöst. Die Beklemmung ergibt sich aus der Reflektion der damaligen eigenen Rolle und der gereiften Erkenntnis, dass individuelle Freiheit einen der höchsten Werte darstellt, so hoch und erstrebenswert, dass damals Menschen ihr Leben aufs Spiel setzten beim Versuch, sich diese freiheitliche Sehnsucht zu erfüllen.
Zurück zur Gegenwart: Da der Museumsbesuch für jedermann kostenfrei ist, übergeben wir vor Verlassen des Geländes eine Spende an den Trägerverein Grenzturm e. V., damit dieser authentische Geschichtsunterricht hier fortbestehen kann. Die Thematik des Spannungsfeldes zwischen Restriktion und Freiheit bleibt immer aktuell und sollte durch Anschauung und Austausch auch immer wieder ins Bewusstsein gerückt werden. Hier in Kühlungsborn ist dafür ein idealer Ort entstanden.
Unser Fußweg vom Grenzturm setzt sich jetzt entgegengesetzt fort, nicht aber ohne eine Rast einzulegen. Wir kehren ein bei unserem Landesgruppenmitglied Markus Falenski und nehmen im sonnigen Biergarten des Ostsee-Brauhauses Platz. Als fürsorglicher Gastgeber hat Markus ein Fass hausgebrautes Kellerbier fachgerecht vorgekühlt. Es ist Selber-Zapfen angesagt und diese Möglichkeit wird rege genutzt. Nach 7-monatiger Schließzeit der Gastronomie ist ein gewisser Nachholeffekt zu beobachten, so dass auch noch ein zweites Fässchen den Weg aus der Kühlung zum bayrischen Anstich findet. Bier ist eben soziales Bindemittel. Neben dem Mittagessen nutzen wir nämlich unseren Aufenthalt vor allem für Gespräche und intensiven Austausch nach der monatelangen Auszeit.
Die minutengenaue Pünktlichkeit des Molli (ja, es heißt korrekt „Der Molli“!) bestimmt heute unseren Tagesplan und so brechen wir rechtzeitig vom Ostsee-Brauhaus Richtung Bahnhof auf, nicht ohne uns aber noch bei Markus für die großzügige Bierspende zu bedanken! Die Rückfahrt vergeht zwischen Dampfpfeife und Rauchschwaden wie im Fluge und so endet wieder in Bad Doberan angekommen dieser langersehnte Neustart des aktiven Vereinslebens.
Frank Lucas
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